KLASSIK
Ludwig van Beethoven, Robert
Schumann, Arnold Schönberg
ORIGINALS AND BEYOND
Pianoduo Takahashi / Lehmann
Audite/Edel CD___________________________[73]
Das Klavierduo Takahashi/Lehmann
überzeugt auf dieser CD nicht nur
mit seinem Spiel, sondern über-
rascht mit einem sehr anspruchs-
vollen Programm, das Transkrip-
tionen bietet, welche die Kompo-
nisten selbst von ihren Werken an-
gefertigt haben. Das Duo verzich-
tet hier auf jegliche salonhafte Mu-
sik und meidet auch die ausgetram-
pelten Pfade, die man mit Schuberts
f-Moll-Fantasie oder Brahms „Unga-
rischen Tänzen“ so gern zu beschrei-
ten pflegt. Es scheint fast, dass die
Interpreten sich bewusst vom her-
kömmlichen Repertoire abgewendet
haben, um dem Duo-Musizieren ei-
ne intellektuelle Strenge und musi-
kalische Würde zu geben.
Die ausgewählten Werke jeden-
falls sind zentrale Epochenmusik:
Beethovens „Große Fuge“ op. 134
ist nicht nur ein komplexes Opus
aus des Komponisten Spätwerk,
sondern beschwört den polypho-
nen Geist Bachs herauf, Schumanns
zweite Sinfonie verweist in ihrer ro-
mantischen Hochblüte wiederum
auf Beethoven, und Schönbergs
Kammersinfonie op. 9 bezieht sich
gleichermaßen auf die von Beetho-
ven und Schumann geschaffenen
Kompositionsprinzipien und öffnet
den Weg in die Moderne.
Diese Dichte und gegenseitige
Bezugnahme in der Programmaus-
wahl korrespondiert eindringlich mit
dem hervorragend aufeinander ab-
gestimmten Spiel des 2009 gegrün-
deten Duos. Norie Takahashi und
Björn Lehmann, beide Schüler von
Klaus Hellwig in Berlin, durchdrin-
gen die unterschiedlichen Sphären
mit geistiger wie manueller Intensi-
tät, und es gelingt ihnen, den jewei-
ligen Werkcharakter von Beethovens
Sprödigkeit über Schumanns En-
thusiasmus bis Schönbergs experi-
menteller Wucht unter dem Mikros-
kop der Klavierfassungen klar her-
vortreten zu lassen.
F rank S ie b e rt
MUSIK ★ ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ★
Agostino Steffani
NIOBE, REGINA DI TEBE
Karina Gauvin, Philippe Jaroussky, u. a. Boston Early
Music Festival Orchestra, Stephen Stubbs u. a.
Erato/Warner 3 CDs
Als Cecilia Bartoli vor zwei Jahren
ihr Agostino-Steffani-Projekt na-
mens „Mission“ veröffentlichte,
lobten viele besonders die Arien
zu „Niobe, Regina di Tebe“ als die
wohl interessanteste Oper des eins-
tigen Hofkomponisten der Wittels-
bacher wie Welfen. 1688 am Münch-
ner Hof uraufgeführt, kündigt sie
heute noch von dessen prachtvol-
f W
/
CDs
|
NEUES
AUS
DER
M U S I K W E L T
lem Musikleben. Der ausufernde
Dreiakter über die Königin von The-
ben, die von den Göttern für ihre Ar-
roganz mit dem Tod ihrer 14 Kinder
bestraft wird, wurde 2008 von Tho-
mas Hengelbrock für Schwetzingen
wieder ausgegraben und drei Jahre
später in Boston zur nordamerika-
nischen Erstaufführung gebracht.
Das tänzelastige Werk, das italie-
nischen Arienreichtum mit französi-
scher Beweglichkeit verbindet, wur-
de dann 2013 von Paul O’Dette und
Stephen Stubbs sowie dem Boston
Early Music Festival Orchestra ein-
gespielt. Und wieder singt Philippe
Jaroussky mit all seinem sensitiven
Nuancenreichtum einen hinreißen-
den Anfione, tieftrauriger Gatte der
Niobe, aber auch mystischer Erfin-
der der Lyra, als der ihm ein reich
instrumentierter Anfangsauftritt zu-
steht. Anrührend auch seine Todes-
szene wie die der versteinernden
Niobe, verkörpert von Karina Gauvin
mit Delikatesse und Sinnlichkeit.
Auch Amanda Forsythe als Prieste-
rin Manto und Terry Wey als thessa-
lischer Prinz Creonte hört man sehr
gern zu.
b ru
MUSIK ★ ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ★
der blauen Blume der Romantik,
gibt der „Hebriden“-Ouvertüre und
mehr noch der dritten Sinfonie intel-
lektuelle, fast harte Züge. Vor allem
in der Sinfonie schlägt er durchweg
ein hohes Grundtempo an. Wäh-
rend der dritte Satz von seinem Fan-
farenthema her gedacht und mehr
dramatisch als beschaulich aufge-
fasst ist, folgt im vierten auf den
erregt genommenen Anfangsteil im
Maestoso-Finale endlich die war-
me Welle der befreiten Emotionen.
In der als bewegtes Seestück auf-
gefassten Ouvertüre wechseln Mo-
mente beseligender Ruhe mit im-
pulsiven Attacken ab.
Andere Akzente setzt Gardiner in
Schumanns Klavierkonzert. Mit Ma-
ria Joao Pires trifft er sich in einer in-
nigen, quasi „sprechenden“ Formu-
lierung der Themen und lässt das
Phantastische dieser Musik zu sei-
nem Recht kommen. Beide nähern
sich dem Stück von der Seite des
Poetischen her, gestatten sich Tem-
po rubato und eine vielfach schat-
tierte Dynamik. Eine dichte, ereig-
nisreiche Darbietung.
A n d re a s F rie senh age n
MUSIK ★ ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ★
Philippe Jaroussky
Robert Schumann, Felix Mendelssohn
KLAVIERKONZERT U. A.
Maria Joao Pires, London Symphony Orchestra,
John Eliot Gardiner
LSO Live/Note 1 SACD____________________ [79]
Die Präsentation dieses Konzert-
mitschnitts fällt aus dem Rahmen:
Das Audiosignal liegt in gleich zwei
hochauflösenden Formaten auf se-
paraten Silberscheiben vor, als Blu-
ray-Audio bzw. SACD. Und als wäre
das nicht genug, wird auch noch ein
Video von der Aufführung im Londo-
ner Barbican Centre mitgeliefert (in-
klusive Zugabe der Pianistin, die im
reinen Audio-Angebot fehlt). Wohl-
gemerkt: Alles in einer Verpackung
und zum Preis einer „normalen“ CD.
Nicht ganz alltäglich ist auch die
Interpretation: Denn so hoch ver-
dichtet, dabei so klangschön und
bis in den hintersten Winkel der Par-
titur ausgeleuchtet hört man Men-
delssohns Orchestermusik selten.
John Eliot Gardiner huldigt nicht
Richard Strauss
VIER LETZTE LIEDER U. A.
Anna Netrebko, Staatskapelle Berlin, Daniel
Barenboim
DG/Universal CD________________________ (68}
Strauss’ „Vier letzte Lieder“ sind
der schwelgerisch-sentimentale Ab-
schluss nicht nur eines Komponis-
tenlebens, sondern einer ganzen
Epoche. Nun hat sich Anna Netreb-
ko an den Zyklus gewagt. Anders als
die oft als Referenz genannte Lisa
della Casa, deren silbrig-leuchten-
de Stimme kühl und sanft zugleich
klingt, führt die Russin die satten
Herbstfarben ihres dunklen Soprans
ins Felde - gut zu hören am Beginn
von „Im Abendrot“: Rubinrot leuch-
tet die Stimme hier. Expansiv ent-
faltet sie sich dann auf der Phrase
„So tief im Abendrot!“, jedoch ohne
die innere Wärme der viel gerühm-
ten Jessye Norman. Und auch ohne
die Magie, mit der die Amerikane-
rin das hohe G im Pianissimo singt,
das man dieser riesenhaften Stim-
me kaum zugetraut hätte.
Man kann bei Netrebko nun noch
gelegentliche rhythmische Unge-
nauigkeiten monieren, auch eine
bisweilen konturlose Diktion. Und
auch der Forderung von Elisabeth
Schwarzkopf, dass der Sänger „im
Klang der Stimme die Bedeutung
der Emotionen“ spiegeln müsse,
kommt sie nicht immer vollends
nach. Doch wie beeindruckend ge-
staltet sie die gewaltige Expansion
auf „Und die Seele unbewacht“,
wie schön koloriert sie das „will in
freien Flügen schweben“.
Die hohe Lage muss leuchten
beim kniffligen Aufstieg auf das
hohe B, das die Atemreserven ei-
ner jeden Interpretin auf eine har-
te Probe stellt. Und ja: Netrebko
zerreißt hin und wieder eine Phra-
se mit ihrem Atemholen. Doch
vergessen wir nicht, dass es ein
Live-Mitschnitt ist. Auch wenn An-
ja Harteros das besser bewältigt,
zugleich empfindsamer und inni-
ger agiert. Doch: Trotz einer gro-
ßen Konkurrenz schlägt Anna Net-
rebko sich, mit einigen Einschrän-
kungen, hervorragend.
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MUSIK ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★
134 STEREO 3/2015
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